Filmkritik: Vivarium – Das Haus ihrer (Alp)Träume

Filmplakat von "Vivarium". Ein Junge, gekleidet in weißem Hemd und schwarzer Hose, steht mit dem Rücken zur Kamera und blickt auf ein Haus, das schräg in der Luft schwebt. (c) Lovely Productions

Vorstadthorror trifft Körperfresser

Fünf Jahre nach Release bin ich endlich dazu gekommen, den Film Vivarium (2019) einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Darin werden altbekannte Elemente des Horrors miteinander verbunden: Vorstadthorror wie in Poltergeist (1982), fremdartige Wesen im menschlichen Fleischanzug wie in Die Körperfresser kommen (1978) und jede Menge selbstreflektierte Satire ähnlich wie Die Truman Show (1998). Doch unterm Strich fehlt Vivarium die Finesse. Der Film wird mir vielmehr für sein abgedrehtes und knallbuntes Setdesign im Gedächtnis bleiben.

Filmplakat von "Vivarium". Ein Junge, gekleidet in weißem Hemd und schwarzer Hose, steht mit dem Rücken zur Kamera und blickt auf ein Haus, das schräg in der Luft schwebt.
(c) Lovely Productions
(c) Lovely Productions

Gemma (Imogen Poots) und Tom (Jessie Eisenberg) sind ein junges Paar auf der Suche nach ihrem ersten gemeinsamen Eigenheim. Doch als Lehrerin und Gärtner stehen den beiden nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Als ihnen der Immobilienmakler Martin anbietet, sich einmal ein Haus in der Vorstadtsiedlung „Yonder“ anzuschauen, gehen sie daher auf den Vorschlag ein. Sie ahnen beide schon, dass das idealisierte Leben in einer Plansiedlung nicht ihren Träumen entspricht. Noch während sie sich das biedere, allzu perfekte Haus in der ebenso perfekten, menschenleeren Siedlung mit identischen Häusern anschauen, verschwindet Martin plötzlich. Von ihrem Makler verlassen und vom seelenlosen Yonder abgeschreckt, wollen auch Gemma und Tom die Siedlung schnell wieder verlassen. Doch egal, was sie tun, ihr Weg führt immer wieder zurück zu Haus Nr. 9. Von einem Moment auf den anderen sind sie gefangen in ihrem persönlichen Albtraum. Regelmäßig stehen auf unerklärliche Weise Kartons mit Lebensmitteln vor „ihrem“ Haus – und eines Tages sogar ein Paket mit einem lebenden Baby. Ein Aufdruck verrät ihnen, dass sie das Kind großziehen sollen, um freigelassen zu werden.

Bunt, künstlich und absolut verstörend

Regisseur Lorcan Finnegan hat mit Vivarium einen Horrorfilm geschaffen, der in vielerlei Hinsicht an eine Episode der Serie The Twilight Zone erinnert. Der Titel „Vivarium“ verrät bereits vieles: Als wären sie Haustiere, hat irgendwer für Gemma und Tom die vermeintlich perfekten Lebensbedingungen geschaffen. Innerhalb kürzester Zeit werden sie von der Außenwelt abgeschnitten und in diesem Vivarium festgehalten. Obwohl Yonder ziemlich groß ist, entspinnt sich so dennoch ein Kammerspiel. In dieser Siedlung gibt es nur das junge Paar und den mysteriösen, äußerst schnell wachsenden Jungen.

Die Prämisse vom Film ist vielversprechend und vor allem das Setdesign ist beeindruckend. Alles hier ist offensichtlich künstlich. Die scheinbar unendlich vielen Häuser sehen alle gleich aus; Straßen und Gebäude sind etwas zu farbintensiv, um echt zu sein; die Wolken sind perfekt wolkenförmig; und das Essen schmeckt nach nichts. Selbst das Tageslicht hier wirkt künstlich. Der Eindruck wird verstärkt durch Kameraeinstellungen aus der Vogelperspektive – als würde man von oben in ein Terrarium schauen. Selten wurde Suburbia, die perfekte Vorstadt, so aalglatt und albtraumhaft in Szene gesetzt.

Nur für eine kurze Szene gestattet uns Vivarium den Blick hinter die Kulisse des perfekten Yonder. Als Gemma den namenlosen Jungen – inzwischen zu einem jungen Mann herangewachsen – angreift, verkriecht dieser sich kurzerhand unter den Bürgersteig. Als hätte er eine Stoffnaht aufgetrennt, zieht er den gepflasterten Weg einfach vom Boden ab und öffnet damit einen Weg in eine schräge, für den menschlichen Verstand nicht nachvollziehbare Welt. Wir erhaschen nur wenige Einstellungen von dieser abstrakten Realität, doch genau die gehören zu den stärksten und eindrucksvollsten Momenten des Films.

Übererklärte Metaphern

Leider handhabt Vivarium die eigenen Metaphern zu offensichtlich und schwerfällig, als würde der Film seinem Publikum das kritische Denken nicht zutrauen. Bereits in der Exposition erklärt Gemma einer jungen Schülerin, dass sich der schnellwachsende Kuckucksvogel parasitär fortpflanzt, indem er anderen Vögeln seine Eier unterjubelt. Damit ist im Grunde genommen auch ein Großteil der Handlung vorweggenommen und Vivarium lässt uns nie vergessen, dass der Film eine große Kuckucks-Metapher ist. Und dass diese Metapher natürlich genauso auch für den kapitalistischen Traum des Eigenheims in Siedlungen wie Yonder gilt. Entstammt das übliche „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“-Narrativ wirklich den Wünschen von Menschen wie Gemma und Tom? Oder ist ihnen dieser Traum vielmehr gesellschaftlich eingepflanzt worden? Die beiden Hauptfiguren mögen sich zunächst noch rebellisch geben, aber im Grunde fügen sie sich innerhalb kürzester Zeit in das ihnen aufgezwungene Vorstadtleben mit Kind ein. Das ist alles schön und gut, aber eben nicht sonderlich raffiniert. Stattdessen macht Vivarium den Fehler, den Horrorfilme allzu gerne begehen: Die eigene Botschaft wird übererklärt, damit das Publikum auch ja die richtige Interpretation des Films erschließt.

Filmdaten von Vivarium

Originaltitel: Vivarium
Erscheinungsjahr: 2019
Regie: Lorcan Finnegan
Drehbuch: Garret Shanley, Lorcan Finnegan
FSK: ab 16 J.
Vivarium auf IMDb

Weitere Rezension auf www.gothicendeavors.de

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